“Der Morgen kam; es
scheuchten seine Tritte
Den leisen Schlaf, der
mich gelind umfing.“ (Goethe, „Zueignung“, 1998, p.9).
„Füllest wieder Busch und
Tal
Still mit Nebelglanz,
Lösest endlich auch
einmal
Meine Seele ganz “
(Goethe, „An den Mond“, 1998, p.35).
„Spude dich, Kronos!
Fort den rasselnden
Trott!
Bergab gleitet der Weg;
(...)
Nun schon wieder
Den eratmenden Schritt
Mühsam Berg hinauf!
(...)
Weit, hoch, herrlich der
Blick
Rings in’s Leben hinein,
(...)
Töne, Schwager, in’s
Horn,
Raßle den schallenden
Trab,
Daß der Orcus vernehme:
wir kommen
Daß gleich an der Türe
Der Wirt uns freundlich
empfange.“ (Goethe, „An Schwager Kronos“, 1998, p.57).
„Ach! Wüßtest du, wie’s Fischlein ist
So wohlig auf dem Grund,
Du stiegst herunter, wie
du bist,
Und würdest erst gesund.
Labt sich die liebe Sonne
nicht,
Der Mond sich nicht im
Meer?
Kehrt wellenatmend ihr
Gesicht
Nicht doppelt schöner
her?
Lockt dich der tiefe
Himmel nicht,
Das feuchtverklärte Blau?
Lockt dich dein eigen
Angesicht
Nicht her in ew’gen Tau? “
(Goethe, „Der Fischer“, 1998, p.116).
„Wehmut reißt die Saiten
der Brust; die nächtlichen Tränen
Fließen, und über dem
Wald kündet der Morgen sich an.“ (Goethe, „Euphrosyne“, 1998, p.140).
„Alle Freiheits-Apostel,
sie waren mir immer zuwider;
Willkühr suchte doch nur jeder am Ende für sich.
Willst du viele befrein,
so wag’ es, vielen zu dienen!
Wie gefährlich das sei; willst du es wissen? Versuch’s.“ (Goethe,
„Epigramme“, 1998, p.152).
„Vor ihrem Blick, wie vor
der Sonne Walten,
Vor ihrem Atem, wie vor
Frühlingslüften,
Zerschmilzt, so längst
sich eisig starr gehalten,
Der Selbstsinn tief in
winterlichen Grüften;
Kein Eigennutz, kein
Eigenwille dauert,
Vor ihrem Kommen sind sie
weggeschauert. “ (Goethe, „Elegie“, 1998, p.213-4).
„Und er sprach das Wort:
Es werde!
Da erklang ein
schmerzlich Ach!
Als das All, mit
Machtgebärde,
In die Wirklichkeiten
brach.
Auf tat sich das Licht!
Sich trennte
Scheu die Finsternis von
ihm.
(...)
Stumm war alles, still
und öde,
Einsam Gott zum
erstenmal!
Da erschuf er Morgenröte,
Die erbarmte sich der
Qual;
Sie entwickelte im Trüben
Ein erklingend
Farbenspiel
Und nun konnte wieder
lieben
Was erst
auseinanderfiel.“ (Goethe, „Wiederfinden “, 1998, p.223).
„Im Grenzenlosen sich zu
finden
Wird gern der Einzelne
verschwinden,
Da löst sich aller
Überdruß;
Statt heißem Wünschen,
wildem Wollen,
Statt läst’gem Fordern,
strengen Sollen,
Sich aufzugeben ist
Genuß.
Weltseele komm uns zu
durchdringen!
Dann mit dem Weltgeist
selbst zu ringen
Wird unsrer Kräfte
Hochberuf.
(...)
Und umzuschaffen das
Geschaffne,
Damit sich’s nicht zum
Starren waffne,
Wirkt ewiges, lebendiges
Tun.“ (Goethe, „Eins und Alles“, 1998, p.226).
„Kein Wesen kann zu
nichts zerfallen,
Das Ew’ge regt sich fort
in allen,
Am Sein erhalte dich
beglückt!“ (Goethe, „Vermächtnis“, 1998, p.226).
„Hoffnung
(...)
Aus Wolkendecke, Nebel,
Regenschauer
Erhebt sie uns, mit ihr,
durch sie beflügelt,
Ihr kennt sie wohl, sie
schwärmt durch alle Zonen;
Ein Flügelschlag – und
hinter uns Äonen.“ (Goethe, „Vermächtnis“, 1998, p.234).
„Dämmrung senkte sich von
oben,
Schon ist alle Nähe fern;
Doch zuerst emporgehoben
Holden Lichts der
Abendstern!
Alles schwankt in’s Ungewisse
Nebel schleichen in die
Höh;
Schwarzvertiefte
Finsternisse
Wiederspiegeln ruht der
See.
Nun im östlichen Bereiche
Ahnd’ ich Mondenglanz und
Glut,
Schlanker Weiden
Haargezweige
Scherzen auf der nächsten
Flut.
Durch bewegter Schatten
Spiele
Zittert Luna’s
Zauberschein,
Und durch’s Auge
schleicht die Kühle
Sänftigend ins Herz
hinein.“ (Goethe, „Chinesisch-Deutsche Jahres- und Tageszeiten“, 1998, p.261).
„Alles gaben Götter die
unendlichen
Ihren Lieblingen ganz
Alle Freuden die
unendlichen
Alle Schmerzen die
unendlichen ganz.“ (Goethe, „Aus einem Brief an Auguste zu Stolberg“, 1998, p.277).
„Nord und West und Süd
zersplittern,
Throne bersten, Reiche
zittern,
Flüchte du, im reinen
Osten
Patriarchenluft zu
kosten,
Unter Lieben, Trinken,
Singen,
Soll dich Chisers Quell
verjüngen.
Dort im Reinen und im
Rechten
Will ich menschlichen
Geschlechten
In des Ursprungs Tiefe dringen.“ (Goethe, „Hegire“, 1998, p.305).
„Ob ich Ird’sches denk’
und sinne
Das gereicht zu höherem
Gewinne.
Mit dem Staube nicht der
Geist zerstoben
Dringet, in sich selbst
gedrängt, nach oben.“ (Goethe, „Hegire“, 1998, p.308).
„Mag der Grieche seinen
Ton
Zu Gestalten drücken,
An der eignen Hände Sohn
Steigern sein Entzücken;
Aber uns ist wonnenreich
In den Euphrat greifen,
Und im flüssigen Element
Hin und wider schweifen.
Löscht ich so der Seele
Brand
Lied es wird erschallen;
Schöpft des Dichters
reine Hand
Wasser wird sich Ballen.“
(Goethe, „Lied und Gebilde“, 1998, p.314).
„Sag es niemand, nur den
Weisen
Weil die Menge gleich
verhöhnet,
Das Lebend’ge will ich
preisen
Das nach Flammentod sich
sehnet.
(...)
Keine Ferne macht dich
schwierig,
Kommst geflogen und
gebannt,
Und zuletzt, des Lichts
begierig,
Bist du Schmetterling
verbrannt,
Und so lang du das nicht
hast,
Dieses: Stirb und werde!
Bist du nur ein trüber
Gast
Auf der dunklen Erde.
„Hafis Dichterzüge sie
bezeichnen
Ausgemachte Wahrheit
unaulöschlich
Aber hie und da auch
Kleinigkeiten
Außerhalb der Grenze des
Gesetzes.
Willst du sicher gehen,
so mußt du wissen
Schlangengift und Theriak
zu sondern –
Doch der reinen Wollust
edler Handlung
Sich mit frohem Mut zu
überlassen.“ (Goethe, „Fetwa“, 1998, p.320).
„Daß du nicht enden
kannst das macht dich groß.
Und daß du nie beginnst
das ist dein Los.
Dein Lied ist drehend wie
das Sterngewölbe,
Anfang und Ende immer
fort dasselbe,
Und was die Mitte bringt
ist offenbar,
Das was zu Ende bleibt
und anfangs war.
Du bist der Freuden echte
Dichterquelle,
Und ungezählt entfließt
dir Well’ auf Welle.
(...)
Ein gutes Herz, daß sich
ergießet.
Und mag die ganze Welt
versinken.
(...)
Nun töne Lied mit eignem
Feuer!
Denn du bist älter, du
bist neuer“ (Goethe, „Unbegrenzt“, 1998, p.321).
„Und was im Pend-Nameh
steht
Ist dir aus der Brust
geschrieben:
Jedem dem du selber gibst
Wirst du wie die selber
lieben.“ (Goethe, „Fünf Andere“, 1998, p.332).
„ So umgab sie nun der
Winter
Mit gewalt’gem Grimme.
Streuend
Seinen Eishauch zwischen
alle,
Hetzt er die
verschiedenen Winde
Widerwärtig auf sie ein.
Über sie gab er
Gewaltkraft
Seinen frostgespritzten
Stürmen,
Stieg in Timurs Rat hernieder,
Schrie ihn drohend an und
sprach so:
Leise, langsam,
Unglücksel’ger!
Wandle du Tyrann des
Unrechts;
Sollen länger noch die
Herzen
Sengen, brennen deinen
Flammen?
Bist du der verdammten
Geister
Einer, wohl! Ich bin der
andre.
Du bist Greis, ich auch,
erstarren
Machen wir so Land als
Menschen.
Mars! Du bist’s! ich bin
Saturnus,
Übeltätige Gestirne,
Im Verein die
Schrecklichsten.
Tötest du die Seele,
kältest
Du den Luftkreis; meine
Lüfte
Sind noch kälter als du
sein kannst.
Quälen deine wilden Heere
Gläubige mit tausend
Martern;
Wohl, in meinen Tagen
soll sich,
Geb es Gott! Was schlimmres
finden.
Und bei Gott! Dir schenk’
ich nichts
Hör’ es Gott was ich dir
biete!
Ja bei Gott! Von Todeskälte
Nicht, o Greis, verteid’gen
soll dich
Breite Kohlenglut vom
Herde,
Keine Flamme des
Dezembers.“ (Goethe, „Fetwa“, 1998, p.350-1).