Sunday 8 October 2017

Goethe – Gedichte West-Östlicher Divan - 1998


“Der Morgen kam; es scheuchten seine Tritte
Den leisen Schlaf, der mich gelind umfing.“ (Goethe, „Zueignung“, 1998, p.9).



„Füllest wieder Busch und Tal
Still mit Nebelglanz,
Lösest endlich auch einmal
Meine Seele ganz “ (Goethe, „An den Mond“, 1998, p.35).

„Spude dich, Kronos!
Fort den rasselnden Trott!
Bergab gleitet der Weg;
(...)
Nun schon wieder
Den eratmenden Schritt
Mühsam Berg hinauf!
(...)
Weit, hoch, herrlich der Blick
Rings in’s Leben hinein,
 (...)
Töne, Schwager, in’s Horn,
Raßle den schallenden Trab,
Daß der Orcus vernehme: wir kommen
Daß gleich an der Türe
Der Wirt uns freundlich empfange.“ (Goethe, „An Schwager Kronos“, 1998, p.57).

„Ach! Wüßtest du, wie’s Fischlein ist
So wohlig auf dem Grund,
Du stiegst herunter, wie du bist,
Und würdest erst gesund.

Labt sich die liebe Sonne nicht,
Der Mond sich nicht im Meer?
Kehrt wellenatmend ihr Gesicht
Nicht doppelt schöner her?

Lockt dich der tiefe Himmel nicht,
Das feuchtverklärte Blau?
Lockt dich dein eigen Angesicht
Nicht her in ew’gen Tau? “ (Goethe, „Der Fischer“, 1998, p.116).

„Wehmut reißt die Saiten der Brust; die nächtlichen Tränen
Fließen, und über dem Wald kündet der Morgen sich an.“ (Goethe, „Euphrosyne“, 1998, p.140).

„Alle Freiheits-Apostel, sie waren mir immer zuwider;
            Willkühr suchte doch nur jeder am Ende für sich.
Willst du viele befrein, so wag’ es, vielen zu dienen!
Wie gefährlich das sei; willst du es wissen? Versuch’s.“ (Goethe, „Epigramme“, 1998, p.152).

„Vor ihrem Blick, wie vor der Sonne Walten,
Vor ihrem Atem, wie vor Frühlingslüften,
Zerschmilzt, so längst sich eisig starr gehalten,
Der Selbstsinn tief in winterlichen Grüften;
Kein Eigennutz, kein Eigenwille dauert,
Vor ihrem Kommen sind sie weggeschauert. “ (Goethe, „Elegie“, 1998, p.213-4).

„Und er sprach das Wort: Es werde!
Da erklang ein schmerzlich Ach!
Als das All, mit Machtgebärde,
In die Wirklichkeiten brach.

Auf tat sich das Licht! Sich trennte
Scheu die Finsternis von ihm.
(...)
Stumm war alles, still und öde,
Einsam Gott zum erstenmal!
Da erschuf er Morgenröte,
Die erbarmte sich der Qual;
Sie entwickelte im Trüben
Ein erklingend Farbenspiel
Und nun konnte wieder lieben
Was erst auseinanderfiel.“ (Goethe, „Wiederfinden “, 1998, p.223).

„Im Grenzenlosen sich zu finden
Wird gern der Einzelne verschwinden,
Da löst sich aller Überdruß;
Statt heißem Wünschen, wildem Wollen,
Statt läst’gem Fordern, strengen Sollen,
Sich aufzugeben ist Genuß.

Weltseele komm uns zu durchdringen!
Dann mit dem Weltgeist selbst zu ringen
Wird unsrer Kräfte Hochberuf.

(...)

Und umzuschaffen das Geschaffne,
Damit sich’s nicht zum Starren waffne,
Wirkt ewiges, lebendiges Tun.“ (Goethe, „Eins und Alles“, 1998, p.226).

„Kein Wesen kann zu nichts zerfallen,
Das Ew’ge regt sich fort in allen,
Am Sein erhalte dich beglückt!“ (Goethe, „Vermächtnis“, 1998, p.226).

„Hoffnung
(...)
Aus Wolkendecke, Nebel, Regenschauer
Erhebt sie uns, mit ihr, durch sie beflügelt,
Ihr kennt sie wohl, sie schwärmt durch alle Zonen;
Ein Flügelschlag – und hinter uns Äonen.“ (Goethe, „Vermächtnis“, 1998, p.234).

„Dämmrung senkte sich von oben,
Schon ist alle Nähe fern;
Doch zuerst emporgehoben
Holden Lichts der Abendstern!
Alles schwankt in’s Ungewisse
Nebel schleichen in die Höh;
Schwarzvertiefte Finsternisse
Wiederspiegeln ruht der See.

Nun im östlichen Bereiche
Ahnd’ ich Mondenglanz und Glut,
Schlanker Weiden Haargezweige
Scherzen auf der nächsten Flut.
Durch bewegter Schatten Spiele
Zittert Luna’s Zauberschein,
Und durch’s Auge schleicht die Kühle
Sänftigend ins Herz hinein.“ (Goethe, „Chinesisch-Deutsche Jahres- und Tageszeiten“, 1998, p.261).

„Alles gaben Götter die unendlichen
Ihren Lieblingen ganz
Alle Freuden die unendlichen
Alle Schmerzen die unendlichen ganz.“ (Goethe, „Aus einem Brief an Auguste zu Stolberg“, 1998, p.277).

„Nord und West und Süd zersplittern,
Throne bersten, Reiche zittern,
Flüchte du, im reinen Osten
Patriarchenluft zu kosten,
Unter Lieben, Trinken, Singen,
Soll dich Chisers Quell verjüngen.

Dort im Reinen und im Rechten
Will ich menschlichen Geschlechten
In des Ursprungs Tiefe dringen.“ (Goethe, „Hegire“, 1998, p.305).

„Ob ich Ird’sches denk’ und sinne
Das gereicht zu höherem Gewinne.
Mit dem Staube nicht der Geist zerstoben
Dringet, in sich selbst gedrängt, nach oben.“ (Goethe, „Hegire“, 1998, p.308).

„Mag der Grieche seinen Ton
Zu Gestalten drücken,
An der eignen Hände Sohn
Steigern sein Entzücken;

Aber uns ist wonnenreich
In den Euphrat greifen,
Und im flüssigen Element
Hin und wider schweifen.

Löscht ich so der Seele Brand
Lied es wird erschallen;
Schöpft des Dichters reine Hand
Wasser wird sich Ballen.“ (Goethe, „Lied und Gebilde“, 1998, p.314).

„Sag es niemand, nur den Weisen
Weil die Menge gleich verhöhnet,
Das Lebend’ge will ich preisen
Das nach Flammentod sich sehnet.
(...)
Keine Ferne macht dich schwierig,
Kommst geflogen und gebannt,
Und zuletzt, des Lichts begierig,
Bist du Schmetterling verbrannt,

Und so lang du das nicht hast,
Dieses: Stirb und werde!
Bist du nur ein trüber Gast
Auf der dunklen Erde.

„Hafis Dichterzüge sie bezeichnen
Ausgemachte Wahrheit unaulöschlich
Aber hie und da auch Kleinigkeiten
Außerhalb der Grenze des Gesetzes.
Willst du sicher gehen, so mußt du wissen
Schlangengift und Theriak zu sondern –
Doch der reinen Wollust edler Handlung
Sich mit frohem Mut zu überlassen.“ (Goethe, „Fetwa“, 1998, p.320).

„Daß du nicht enden kannst das macht dich groß.
Und daß du nie beginnst das ist dein Los.
Dein Lied ist drehend wie das Sterngewölbe,
Anfang und Ende immer fort dasselbe,
Und was die Mitte bringt ist offenbar,
Das was zu Ende bleibt und anfangs war.

Du bist der Freuden echte Dichterquelle,
Und ungezählt entfließt dir Well’ auf Welle.
(...)
Ein gutes Herz, daß sich ergießet.

Und mag die ganze Welt versinken.
(...)
Nun töne Lied mit eignem Feuer!
Denn du bist älter, du bist neuer“ (Goethe, „Unbegrenzt“, 1998, p.321).

„Und was im Pend-Nameh steht
Ist dir aus der Brust geschrieben:
Jedem dem du selber gibst
Wirst du wie die selber lieben.“ (Goethe, „Fünf Andere“, 1998, p.332).

„ So umgab sie nun der Winter
Mit gewalt’gem Grimme. Streuend
Seinen Eishauch zwischen alle,
Hetzt er die verschiedenen Winde
Widerwärtig auf sie ein.
Über sie gab er Gewaltkraft
Seinen frostgespritzten Stürmen,
Stieg in Timurs Rat hernieder,
Schrie ihn drohend an und sprach so:
Leise, langsam, Unglücksel’ger!
Wandle du Tyrann des Unrechts;
Sollen länger noch die Herzen
Sengen, brennen deinen Flammen?
Bist du der verdammten Geister
Einer, wohl! Ich bin der andre.
Du bist Greis, ich auch, erstarren
Machen wir so Land als Menschen.
Mars! Du bist’s! ich bin Saturnus,
Übeltätige Gestirne,
Im Verein die Schrecklichsten.
Tötest du die Seele, kältest
Du den Luftkreis; meine Lüfte
Sind noch kälter als du sein kannst.
Quälen deine wilden Heere
Gläubige mit tausend Martern;
Wohl, in meinen Tagen soll sich,
Geb es Gott! Was schlimmres finden.
Und bei Gott! Dir schenk’ ich nichts
Hör’ es Gott was ich dir biete!
Ja bei Gott! Von Todeskälte
Nicht, o Greis, verteid’gen soll dich
Breite Kohlenglut vom Herde,

Keine Flamme des Dezembers.“ (Goethe, „Fetwa“, 1998, p.350-1).